Zur Mindestsicherung

amt-essen-menschenMomentan streiten sich PolitikerInnen herum, ob es sich hierbei um eine Zumindest- oder eine Zuminisicherung handelt und dabei sind sie sorgsam darauf bedacht, dass sich keiner und keine bedürfnisgesättigt in die soziale Hängematte legt. Bei genauerer Analyse stellt sich die Frage, worüber hier gestritten wird. Kaum etwas hat sich verändert und wenn dann nicht unbedingt zum Guten. Von dem großen Wurf ist nichts zu bemerken. Was sich verändert und was gleichbleibt, wurde hier herausgearbeitet und soll eine informative Hilfestellung bei der Meinungsfindung für Sozial Arbeitende darstellen.

Am 1. 9. 2010 soll sie in kraft treten, die BMS, die sogenannte Bedarfsorientierte Mindestsicherung. Bis dahin werden sich offiziell die Landeshauptleute und der Sozialminister, die Landtage und das Parlament damit beschäftigen. Weitergehende Einflußnahmen sind zu erwarten. Die bisherige Sozialhilfe, die im Aufgabenbereich der Länder liegt, soll nun – in einigen Bereichen – bundesweit einheitlich genormt werden. Wenn die Bundesländer wollen, haben sie die Möglichkeit zusätzliche Leistungen zu erbringen, die über die Mindeststandards des Bundes hinausgehen. Ob sie das tun und in welcher Form bleibt abzuwarten.

Die Anträge sollen zukünftig in One Stop Shops [1] beim AMS, als zusätzliche Anlaufstelle, abgegeben werden und an die zuständige Sozialhilfebehörde des Landes weitergeleitet werden. Das BMASK [2] kündigt auch allgemein eine stärkere Anbindung arbeitsmarktferner Personengruppen an die Ziele des Arbeitsmarktservices an. Arbeitsfähige Menschen müssen neben AMS-Schulungen auch ihre Arbeitswilligkeit unter Beweis stellen. Wenn diese Willigkeit nicht genügend spürbar ist, dann kann die BMS um bis zu 50% gekürzt werden, ausnahmen für weitergehende Kürzungen sind eingeplant. Entgegen früheren Plänen wird die Notstandshilfe nicht durch die BMS ersetzt und bleibt so wie das Arbeitslosengeld bestehen.

Als Begleitmaßnahme des BMS ist die Einführung eines Mindestlohns von 1000€ brutto geplant. Das sind ca. 850€ netto, also 120€ mehr als die BMS. Die Höhe der Bedarforientierten Mindestsicherung liegt bei 733 anstatt der ursprünglichen 783 € und soll zwölf mal anstatt wie anfangs geplant 14 mal pro Jahr ausbezahlt werden. Die Regierung, die eine soziale Hängematte verhindern will, hat für die Kosten der BMS eine Höhe von  zusätzlichen 170 Millionen € veranschlagt. [3] 50 Millionen € sind über den Finanzausgleich für die Bundesländer und Gemeinden vorgesehen, über den Restbetrag wird noch zwischen Bund, Ländern und Gemeinden verhandelt.

Die Subsidiarität bleibt bestehen, was bedeutet, dass die BMS nur bezogen werden kann, wenn woanders her nichts mehr zu holen ist. Wie bisher soll auch das eigene Vermögen und das Einkommen eingesetzt werden, bevor eine BMS-Leistung in Anspruch genommen werden kann. Freibeträge wurden festgelegt. Das Einkommen des Partners / der Partnerin wird auch zukünftig miteinberechnet, die Abhängigkeit vom oft besser verdienenden Partner bleibt bestehen. Der bisher kaum angewandte Regress, die Rückzahlung wenn mensch wieder Geld hat, soll nun auch offiziell entfallen; Ausnahmen sind jedoch weiterhin vorgesehen.

Die Finanzierung des Wohnraumes ist in den 733€ schon inkludiert, was in einigen Bundesländern eine dramatische Verschlechterung gegenüber dem derzeitigen Sozialhilfegesetz bedeutet. Darüber hinausgehende Leistungen wie z.B. Heizkostenzuschüsse, Wohnraumbeschaffungskosten, Delogierungsabwendung, Anschaffung von Wohnungsinventar kann, muss aber nicht von den Ländern zukünftig erbracht werden. Ein Rechtsanspruch besteht nicht. Die Mindeststandards sind klar zu niedrig bemessen um tatsächliche Wohnkosten zu sichern und beinhalten die Gefahr des Wohnungsverlusts. Steigende Mietpreise drohen diese Problematik zusätzlich zu verstärken. Personen, die in einer Wohngemeinschaft leben haben zudem nur Anspruch auf 75% des Mindeststandards.

Ein oft benannter große Wurf des BMASK ist die Versicherung für alle BMS-BezieherInnen. Der E-Card-Ersatzbeleg soll durch die E-Card ersetzt werden. Hierbei ändert sich jedoch nur etwas in der formellen Abwicklung der Krankenversicherung. Wer bisher krankenversichert wurde, wird das auch weiterhin. Ausgeschlossene Personengruppen, bleiben auch weiterhin ausgeschlossen. Des weiteren ist zu vernehmen, dass es angestrebt wäre, dass die BMS-BezieherInnen möglichst ein Bankkonto für den Erhalt ihrer Bezüge einrichten sollten. Stellungnahmen von SchuldnerberaterInnen und DatenschützerInnen liegen bis jetzt noch nicht vor.

Die Segregation im Sozialbereich auch weiterhin bestehen. Grundsätzlich ist festzustellen, dass schlechter der Aufenthaltstitel, desto weniger Chancen bestehen die BMS zu beziehen. AsylwerberInnen werden weiterhin ihr Taschengeld von der Grundversorgung bekommen. MigrantInnen ohne Recht auf dauernden Aufenthalt haben überhaupt keinen Zugang zu Sozialleistungen. EWR-BürgerInnen hingegen brauchen (Arbeits-)Zeit und bürokratisches Geschick um eine Versicherung und Geldleistungen beziehen zu können. StudentInnen sind auch weiterhin von Sozialleistungen ausgeschlossen. [4]

Familien, in welcher Konstellation auch immer, erfahren auch keine nennenswerten Erleichterungen durch die BMS. Eine kleine Verschlechterung zur jetzigen Situation stellen die Mindeststandards für Minderjährige dar, sie erhalten dann in Wien monatlich ca. 4€ weniger. Ab dem 4. minderjährigen Kind gibt es dann sogar ca. 22 €/Monat weniger als bisher. Das obwohl größere Familien weit öfter von Armut betroffen sind als kleinere.

Bestehende Missstände wurden nicht behoben, im Gegenteil. Jetzt liegt es an uns Änderungen herbeizuführen.

Allgemein ist zu sagen, dass auf vielerlei Grundbedürfnisse (Ernährung, Bekleidung, Wohnen inkl. Hausrat, Heiz- und Stromkosten) kein Rechtsanspruch besteht. Positiv ist zu vermerken, dass die Bescheide zukünftig schriftlich ausgestellt werden müssen, was die Möglichkeiten dagegen vorzugehen erhöht.

Die Mindeststandards sind in ihrer Höhe klar zu niedrig bemessen, und sind daher – vor allem unter der Voraussetzung, dass die Wohnkosten in die BMS bereits inkludiert sind – bei weitem nicht bedürfnisorientiert, geschweige denn bedarfsdeckend. Auch wenn die BMS den Unterkunftsbedarf (sic) gewährleisten soll, stellt gerade der BMS-Entwurf ein Hindernis für den Erhalt von Wohnraum dar.

Die verstärkte Anbindung an das AMS beinhaltet nicht nur die Problematik einer ausufernden, zweigleisigen Bürokratie von AMS und z.B. Sozialreferat. In Zeiten in denen die Arbeitslosigkeit rapide zunimmt und nicht genügend Arbeitsplätze für die vorhanden sind, die arbeiten wollen, muss mensch zumindest noch so tun als ob er/sie arbeiten will. Diese Regelung inkl. deren Sanktionierungen widerspricht der Absicht Armut zu verhindern und wird in weiterer Folge zu Wohnungsverlusten führen. Des weiteren werden Menschen durch derartige Auflagen in prekäre Arbeitsverhältnisse gedrängt, Löhne werden gedrückt (allgemein!!!) und somit weitere Armut geschaffen.

Unterm Strich kann mensch behaupten, daß bestehende Missstände nicht behoben wurden, die Armutsverwaltung bleibt und Armut wird zementiert. Sozial Arbeitende und Menschen, die zukünftig vom BMS abhängig sind, werden mit einem Mehr an Bürokratie konfrontiert sein. Betreuungsverhältnisse werden durch Kompetenzenteilungen verunmöglicht, Konflikte sind vorprogrammiert.

Was bleibt nun vom wertlosen Gequatsche der VolksvertreterInnen? Mit der Behauptung Probleme zu lösen, werden hierbei wieder mal Bürokratien ausgebaut, Ungleichheiten gestärkt und neue Probleme geschaffen.

Es liegt nun an uns, allen die von diesen Herrschaftsmechanismen betroffen sind, uns dagegen zu wehren, Gegenkonzepte zu entwickeln, einzufordern und besser noch umzusetzen. Mittelfristig scheint es sinnvoll sich zu organisieren und für Rechtsansprüche, die Abschaffung des Arbeitszwangs, eine allgemeine Anhebung der Löhne und Sozialhilferichtsätze, Arbeitszeitverkürzung (besonders in den Wintermonaten) und vieles mehr einzusetzen. Langfristig gesehen werden wir in einem profitorientierten kapitalistischen System Ausbeutung und Ungleichheit nicht überwinden können. Wir werden wohl nicht darum herumkommen uns selbst eine neue Gesellschaft aufzubauen, in der jeder u. jede selbstbestimmt nach seinen/ihren eigenen Fähigkeiten, Interessen und Mölichkeiten solidarisch mit anderen leben kann.

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[1] Die One Stop Shops sind angedacht um die Antragstellung unbürokratisch und einfach für die AntragstellerInnen zu gestalten. Das Gegenteil ist jedoch zu erwarten. Durch die doppelte Zuständigkeit von AMS und der jeweiligen Sozialhilfebehörde sind doppelte Amtswege, Unklarheiten bei den Kompetenzen und eine weitere Entfremdung zwischen Behörde und bedürftigen Menschen zu erwarten.

[2] Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz

[3] Zum Vergleich: Banken die keinen Gewinn machen (Hypo-Alpe-Adria und Volksbankengruppe) verursachen beim zweistelligem Milliarden-€ Bankenpaket der Bundesregierung durch Zinsausfall einen „Verlust“ in fast der gleichen Höhe wie die Zusatzkosten der BMS.

[4] Ausnahme von der Ausnahme sind die werktätigen StudentInnen, die schon mal länger in der Praxis bewiesen haben, dass sie sozialversicherungspflichtige Lohnarbeit und Studium vereinbaren können.

9 Antworten zu “Zur Mindestsicherung

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  2. Wenn nun erst AMS und die jeweilige Sozialhilfebehörde zuständig sind, wo bleibt die Einsparung und Entbürokratisierung? Nun, Ersteres wird zwar in absehbarer Zeit nicht durch Personalabbau passieren (möglich ist aber alles), sondern durch „Umstrukturierung“ (Neusprech für Verschlechterung). Zweiteres wird dadurch erreicht, dass Menschen, die vom BMS abhängig sind, als Kunden bezeichnet werden (als ob sie es sich aussuchen könnten) gleichzeitig aber ihr letztes Hemd ausziehen müssen und zum gläsernen Menschen gemacht werden („sie müssen mir nix erzählen, der Computer weiß eh alles über sie!“).
    Die „Heranführung an die Ziele des Arbeitsmarktes“ wird tatsächlich immer lächerlicher. Dieses Dogma, das einhergeht mit dem Vollbeschäftigungsfetisch der Sozialpartner kann anscheinend nicht mal durch Massenarbeitsarbeitslosigkeit erschüttert werden. Es ist schon lächerlich von einer „Arbeitswilligkeit“ zu sprechen, wenn ich z.B. weniger als 5 Euro in der Stunde bekomm. Nona, mach ich das, wenn ich muss – aber nicht weil ichs will! Gerade der ÖGB sollte für eine bessere Absicherung der ArbeiterInnen und Arbeitslosen kämpfen und nicht für Voll- oder Mehrbeschäftigung um jeden Preis („zwar arbeiten nun 20% der Arbeitnehmer in 1 Euro Jobs, aber zumindest haben wir Vollbeschäftigung, hurra!“). Das alles wird nur noch absurder wenn man bedenkt, dass Wir es sind, die den gesellschaftlichen Reichtum produzieren, die kapitalistische Klasse aber beschützt durch den Staat ihn sich aneignet. Wir könnten auch anders – und zwar indem wir uns selbstorganisieren und das erkämpfen was eigentlich Uns gehören sollte…

  3. würden uns freuen,von euch termine etc.zu erhalten .unser derzeitiges Schwerpunktthema :bedingungslose Grundeinkommen

  4. Aktive Leute für Aktionen gesucht .Lassen wir uns nicht länger veräppeln.

  5. www punkt isi-europa punkt org

  6. schreib einfach eine mail an lisa.syndikat[at]linuxmail.org und schreib, dass du in den verteiler willst. dann wirst du über unsere aktionen informiert.

  7. Wir haben schon einiges zur Mindestsicherung gemacht und würden uns freuen, wenn das auch von der LISA wahrgenommen werden würde 😉

    Mehr zur Mogelpackung Mindestsicherung:

    http://www.aktive-arbeitslose.at/mindestsicherung bzw. prinzipell auch unter http://www.mindestischerung-wien.at (noch nicht ideal gelöst, …)

  8. Pingback: Petition zur Mindestsicherung |

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